Wenn wir uns in diesem Diskurs dem neuen Ich zuwenden, dann gilt es klarerweise zu klären, wie denn das alte Ich aussieht? Und auch, nach welchen Kriterien wir unterscheiden? Die Antwort auf diese Fragen ruft uns zu Toleranz auf. Denn es drängen sich vielerlei Betrachtungen auf und alle haben aus der Sicht der möglichen Antwort ihre Berechtigung.
Als ich mich in diese Frage einzuschwingen begann, war ich überrascht, wohin mich diese Frage führte. Nämlich? Nämlich zu einem Menschen und in eine Zeit, die ich im ersten Anfassen dieses Themas nicht vermutet habe. Um die Spannung zu nehmen, es ist Jeshua und ich erinnerte mich an einen Dialog mit Judas aus dem Judas-Evangelium.
Das Judas-Evangelium ist in den 1970er Jahren aufgetaucht, wurde von „National Geographic“ erworben und hat weltweit ein enormes Medien-Echo ausgelöst. Ich habe im Laufe der Zeit mehrere unterschiedliche Interpretationen gekauft und mit großem Interesse studiert.
Für unser Thema ist eine Belehrung interessant, die Jeshua seinem Freund Judas schenkte. Ich mache an dieser Stelle einen kleinen Schwenker. Also, es gibt in etwa 50 verschiedene Evangelien. Doch nur vier wurden von der Katholischen Kirche anerkannt. Die ersten schriftlich ‚anerkannten‘ Evangelien gab es erst 75 Jahre nach dem ersten Konzil von Nicäa, das von Konstantin I. im Jahre 325 einberufen wurde. Bis dahin wurde die „Frohe Botschaft“ – wie die Evangelien genannt werden – nur mündlich oder in Papyrus-Rollen weitergegeben.
Noch etwas ist wichtig zu verstehen: Jeshua sprach Aramäisch. Das ist in erster Linie eine Sprech- und keine Schreibsprache. Der Klang der Aussprache, die Umgebung, selbstverständlich die Zuhörer, ja sogar das Wetter färbt diese Sprache ein. Die Evangelien wurden später in eine vollkommen andere Denk- und Sprachkultur übersetzt. Ins Lateinische. Praktisch alle Bibeln gründen auf dieser Sprache; auch die von Luther. Das Wort Bibel bedeutet: Bücher.
Fazit: Der Geist des‚ aramäischen Jesus‘ ging zu einem erheblichen Teil verloren!
All das ist bedeutsam für unser Verständnis. Doch das, was am meisten übersehen wird ist der vollkommen andere Bewusstseins-Zustand der Menschen von damals. Unser heutiges modernes bzw. postmodernes Bewusstsein glimmte erst tausendfünfhundert (1.500) Jahre später in ersten Funken auf. Das bedeutet: Wir nähern uns normalerweise dem Verständnis der Lehre von Jeshua aus einer radikal anderen Bewusstseins-Ebene als jener, den die Hirten und Fischer, jedoch auch die Gelehrten von damals hatten. (!)
Im Judas-Evangelium wird ein Dialog erwähnt zwischen Jeshua und Judas, der unser Thema direkt berührt. „Was ist ein altes Ich und was ein neues Ich?“
Jeshua sagt zu Judas, der nach diesem Evangelium ein besonders enger Vertrauter von Jesus ist: „Wahrlich, ich sage dir, es gibt auf diesem Planeten zwei Arten von Menschen. Da sind die einen, diese erinnern sich nicht an ihren göttlichen Funken. Diese werden nicht aus dem Gefängnis der materiellen Welt entrinnen können.
Und es gibt die anderen. Diese erinnern sich an ihren göttlichen Funken, pflegen und hegen diesen und bringen damit ihr göttliches Licht zum Entflammen.“
Das Thomas-Evangelium wurde in seiner vollständigen Form 1945 in den ägyptischen Nag-Hammadi-Texten gefunden. Hier lesen wir unter anderem: „Wenn ihr das hervorbringt, was in euch ist, wird euch retten, was ihr habt. Wenn ihr nicht das hervorbringt, was in euch ist, wird euch das, was ihr nicht hervorbringt, zerstören.“
Jeshua adressiert hier den göttlichen Funken, der in uns ist. Wer diesen nicht hervorbringt, bleibt in einem alten Ich stecken. Und damit im Gefängnis der Getrenntheit.
Für einen solchen Menschen reduziert sich sein Dasein auf das Bewältigen der materiellen Herausforderungen. Letztlich wird das diesen Menschen zerstören, weil eine größere Perspektive fehlt.
Wer sich jedoch selbst findet, der entdeckt in sich dieses kosmische Licht. Und ist dieses einmal entdeckt – also freigelegt – dann wird dieses Licht zur nie erlahmenden Quelle. Zum Mysterium des ewigen Bundes des Formlosen mit den Formen.
Anders gesagt, es rettet uns das, was wir IN uns haben.
Sobald das ein Mensch in sich erkannt und umarmt hat, erblüht ein neues Ich. Sein Leben beginnt sich auf magische Art zu wandeln. Die Herausforderungen bleiben, doch diese müssen nicht in einer mühsamen Einzelanstrengung gelöst werden. Wer sich mit der Quelle in sich verbindet, der steht auch im Segen einer größeren Unterstützung. Synchronizitäten beginnen sein Leben einzufärben und es fällt ihm zu, was für den Moment betörend nützlich ist.
Das alte Ich lebt im Paradigma der Getrenntheit. Das neue Ich im Paradigma der Verbundenheit. Diese Verbundenheit zeichnet sich durch Teilnahme aus. Durch Teilnahme am Leben und an dessen Gestaltungsmöglichkeiten. Im neuen Ich, wie ich es verstehe, ist der Mensch ein geistiges Wesen mit der Fähigkeit, sich zu inkarnieren.
Ja, und das wiederum schenkt uns ein Leben, das wahrlich lebens- und liebenswert ist.
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